Wenn Wille & Leistung nicht reichen - Über die stille Ohnmacht bei der Arbeitssuche (Teil 1)

"Hast du dich denn auch auf 100-Prozent-Stellen beworben?" Ein Satz, gut gemeint und doch ein Schlag in die Magengrube. Nicht, weil er neu wäre. Sondern weil er so vertraut ist. So erwartungsvoll. So unbarmherzig.

Ich bin auf der Suche nach einer Arbeit. 60 bis 80 Prozent. Ich weiss, was ich kann, was ich will, was ich suche. Ich bewerbe mich. Immer wieder. Strukturiert, mit klarer Ausrichtung. Meine Unterlagen sind auf dem Punkt. Meine Motivation aufrichtig. Mein Wille ungebrochen. Ich kenne es, seit ich Anfang 20 bin, immer wieder. Doch heute ist es anders, als früher.

Es gibt Tage, da komme ich mir vor wie jemand, die auf einen Zug wartet: am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, mit einem Koffer voller Erfahrungen und Auszeichnungen. Doch der Zug fährt einfach nicht ein.

Was mich dabei nicht loslässt: wie wenig Raum es gibt für dieses Suchend-Sein. Wie schnell es heisst:

  • "Hast du schon dies versucht?"
  • "Kennst du jene Plattform?"
  • "Mach doch einfach mal dies"

Als ob es nur am Wollen läge. Als ob ich nur ein paar Prozent mehr Energie und Zeit aufbringen müsste, und schon würde alles gelingen.

Und dann sind da noch die widersprüchlichen Erwartungen:

  • Du musst wissen, was du willst - heisst es.
  • Du musst offen sein für alles - heisst es im nächsten Moment.
  • Sei flexibel, aber klar. Sei zielstrebig, aber nicht zu festgelegt.

Manchmal fühle ich mich wie in einem grossen Labyrinth. An jeder Kreuzung stehen Schilder, die sich widersprechen:

  • "Nur der klare Weg führt zum Ziel."
  • "Halte dir alle Optionen offen."
  • "Verpass nicht die Gelegenheit."
  • "Bleib realistisch - aber träume gross."

Was immer man tut, scheint irgendwie falsch zu sein.

Ich gehe. Mal entschlossen, mal zögerlich, manchmal im Kreis. Nicht, weil ich mich nicht entscheiden kann. Sondern weil sich der Weg erst beim Gehen zeigt.

Doch so ist das eben nicht vorgesehen in einer Welt, die Sicherheit will - und einfache Erklärungen.

Arbeitssuche ist keine Gleichung. Kein simpler Tausch von Einsatz gegen Stelle. Sie ist ein Prozess, der von vielen Faktoren abhängt:

  • vom Zeitpunkt, von der Passung, von Kontakten, von Zufällen, von Entscheiderinnen, von Budgetfragen, von Erwartungen, die nicht ausgesprochen werden - und manchmal auch vom Schweigen, das auf Bewerbungen folgt.

Ich erlebe diesen Prozess als kontrolliert - und gleichzeitig ohnmächtig. Ich tue alles, was ich kann, und habe doch kaum Einfluss darauf, ob etwas zurückkommt. Und je länger es dauert, desto lauter wird das Aussen:

  • "Vielleicht bist du zu wählerisch."
  • "Vielleicht musst du dich besser verkaufen."
  • "Vielleicht liegt es an deinem Pensum, deinen Wünschen, deinem … was auch immer."

Ich verstehe, dass solche Aussagen oft aus Sorge entstehen. Aus dem Wunsch, zu helfen. Doch Hilfe beginnt mit Zuhören. Nicht mit Tipps.

Denn jeder zusätzliche Ratschlag, der die Realität in Frage stellt, macht einen kleiner. Er sagt: Du tust noch nicht genug. Er sagt: Es liegt an dir. Aber was gebraucht wird, ist etwas anderes.

Es braucht mehr Vertrauen.

  • In den Weg, das Mass, das Tempo.
  • In die Fähigkeit, sich zu orientieren - auch ohne klare Richtung.
  • In die Kraft, dran zu bleiben, ohne sich dabei zu verbiegen.

Nicht der fehlende Wille ist das Problem. Sondern ein System, das Komplexität nicht aushält. Ein Umfeld, das Unsicherheiten schnell mit einfachen Antworten begegnet.

Und eine Gesellschaft, die Leistung als etwas Lineares versteht: tun = bekommen.

Doch das Leben ist selten so linear. Und die Arbeitssuche schon gar nicht.

Was mir hilft?

  • Ein Gespräch ohne "du solltest".
  • Ein Blick, der nicht zweifelt, sondern sieht.
  • Ein Mensch, der sagt: "Ich weiss, du gibst dein Bestes. Und das reicht."

Vielleicht können wir lernen, anders über Arbeit zu sprechen. Offener. Ehrlicher. Mit mehr Raum für das, was gerade nicht gelingt. Nicht nur als Ausnahme - sondern als Teil unserer gemeinsamen Wirklichkeit.

  • Wie erlebst du die Arbeitssuche?
  • Wie gehst du mit Betroffenen um?
  • Hörst du zu und bestärkst sie?
  • Oder gibst du gerne Ratschläge?
  • Hältst du deine eigene Ratlosigkeit aus?

Kommentare