Vier Stunden Herzblut - in einem Satz entwertet (Teil 3)

Ich habe kürzlich vier Stunden investiert. Für eine Bewerbung, die mich angesprochen hat wie schon lange keine mehr. Ich war voller Energie, voller Ideen, voller Hoffnung. Ich habe recherchiert, getextet, gefeilt. Jede Formulierung sass. Ich habe mich gesehen gefühlt, gemeint.

Ich dachte: Wenn es irgendwo passt, dann hier. Die Aufgaben – genau meins. Das Unternehmen – genau die Werte, die ich teile. Und ich wusste: Ich bewerbe mich nicht aus einem Mangel heraus, sondern weil ich wirklich etwas beitragen kann. Mit Kopf, Herz und Haltung.

Dann kam die Absage. Standardisiert, leer, formelhaft. Und das Schlimmste war dieser eine Satz: „Nach der Durchsicht diverser Dossiers müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir Bewerbungen erhalten haben, die noch besser mit unseren Vorstellungen übereinstimmen.“

Noch besser!?

Plötzlich steht alles in Frage:

  • Habe ich etwas übersehen?
  • Habe ich mich überschätzt?
  • Habe ich falsch gelesen, falsch gefühlt, falsch gehofft?

Es ist nicht das erste Mal. Und ich weiss: Ich bin nicht allein damit. Viele, die sich mit Sorgfalt bewerben, erleben das Gleiche. Und trotzdem – es trifft. Nicht, weil man glaubt, dass es garantiert klappen muss. Sondern weil man gesehen werden möchte. Als Mensch, nicht nur als Profil.

Ich weiss: Die andere Seite bekommt oft 50, 100 oder mehr Bewerbungen. Ich weiss: Es fehlt die Zeit. Ich verstehe den Druck. Und trotzdem – es tut weh.

Denn eine Bewerbung ist kein neutraler Akt. Sie ist immer auch ein Angebot. Ein Zeichen: Ich sehe euch. Seht ihr mich?

Warum schmerzt es so?

  • Weil da auf der einen Seite ein Mensch sitzt – mit Biografie, mit Herz, mit Hoffnung
  • Weil echte Motivation nicht aus Textbausteinen besteht, sondern aus innerem Wunsch
  • Weil die Bewerbung keine Massenware war – sondern ein Dialogversuch
  • Weil ich mich nicht einfach irgendwo beworben habe – sondern genau dort, wo ich sein wollte
  • Weil ich meine Zeit, mein Denken, meine Sprache investiert habe – und dann eine Formulierung wie "noch bessere Bewerbungen" zu lesen bekomme

Was fehlt in solchen Momenten?

  • Ein Zeichen von Wertschätzung, auch wenn es nicht passt
  • Ein Satz, der erkennen lässt: „Wir haben dich wahrgenommen.“
  • Ein Hauch von Dialog, der signalisiert: Deine Mühe war nicht umsonst

Was mich besonders irritiert hat: Die Absage passte in keiner Weise zu dem, was in der Ausschreibung versprochen wurde. Dort war die Rede von:

  • Effektiver und ehrlicher Feedbackkultur
  • Grossartigem Teamspirit und Open Door Policy
  • Unschlagbar motiviertem Team und familiärer Firmenkultur

Aber wie bitte spiegelt sich das in dieser Absage wider? Wo ist die Offenheit? Wo das ehrliche Feedback?

Man fragt sich: War das nur ein schöner Textbaustein – oder gelten diese Werte nur für Menschen, die bereits im Team sind?

Ich weiss, dass nicht jede Absage individuell sein kann. Dass es Standards braucht. Und dass Menschen, die über Bewerbungen entscheiden, auch überlastet sind. Aber vielleicht geht es gar nicht um den perfekten Ton. Vielleicht geht es darum, ob wir in Prozessen noch Menschlichkeit zulassen. Oder ob wir alles dem Funktionieren unterordnen.

Vielleicht sollten wir uns fragen:

  • Was macht eine faire Absage aus?
  • Wie gelingt ein Minimum an Wertschätzung – auch bei Zeitdruck?
  • Welche Verantwortung haben wir füreinander – auch wenn wir uns nicht wählen?
  • Wie könnten auch Bewerbungsprozesse wieder menschlicher werden?
  • Und was sagt es über unsere Arbeitskultur aus, wenn ein einziger Satz der Wertschätzung fehlt?
  • Oder schlimmer: wenn genau der eine Satz fällt, der jede Investition entwertet?

Vielleicht beginnt Würde nicht beim Vertragsabschluss, sondern bei der Antwort auf eine Bewerbung. Vielleicht beginnt sie genau da, wo jemand sagt: „Danke, dass Sie sich die Zeit und Mühe genommen haben, uns zu sehen.“

Und vielleicht reicht manchmal ein einziger Satz, damit vier Stunden nicht umsonst waren. Nicht, weil ich eine Stelle will – sondern weil ich gesehen werden will. Wie alle anderen auch.

PS: Wie es gehen könnte, zeigt folgendes positives Beispiel:

Uns ist die Entscheidung nach den bereits erfolgten Gesprächsrunden nicht leichtgefallen. Leider können wir Sie nach sorgfältiger Prüfung Ihrer Unterlagen nun doch nicht in die engere Auswahl nehmen. Wir entschuldigen uns für die lange Wartezeit und die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass bei einer Bewerbung nicht nur gute Fähigkeiten ausschlaggebend sind, sondern immer auch ein wenig Glück in der jeweiligen Bewerbungssituation mitspielt und oft kleine Details entscheidend sind.

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