Die Illusion der Gleichstellung – Erfolg hat immer noch, wer männlich genug ist!

Ich bin wütend

Ich lese die Diskussionen auf den sozialen Medien zu den Bundesratswahlen in der Schweiz und spüre vor allem eines: Frustration. Es bewegt mich, wie viele Menschen glauben, Gleichstellung sei längst erreicht. Dass sich keine Frau für den Bundesrat zur Verfügung stellt, wird als persönliches Desinteresse oder fehlender Ehrgeiz interpretiert – anstatt als das, was es ist: Ein Symptom tief verwurzelter struktureller Hürden. Gleichstellung existiert auf dem Papier, aber sie wird nicht voll gelebt. Denn nach wie vor gilt: Eine Frau kann vor allem erfolgreich sein, wenn sie sich männlichen Strukturen anpasst und männliche Attribute übernimmt. Und das macht mich wütend.

Warum Erfolg einzelner Frauen keine Gleichstellung bedeutet

Was mich besonders frustriert: Viele Frauen erkennen selbst nicht, wie viel schwerer es Frauen in unserer Gesellschaft haben, nur weil es ihnen persönlich gut geht. Und viele Männer sehen erfolgreiche Einzelbeispiele und schlussfolgern daraus, dass Gleichstellung längst Realität sei. Doch das ist ein Trugschluss. Der Erfolg einiger weniger ändert nichts an den grundlegenden Strukturen, die Frauen systematisch benachteiligen.

Wir wissen längst, woran es liegt

Die Ursachen für die Unterrepräsentation von Frauen in Spitzenpositionen sind längst bekannt. Studien und Analysen haben sie detailliert benannt: Geschlechterstereotype, Netzwerke, ungleiche Machtstrukturen, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Trotzdem bewegt sich wenig. Warum? Weil zu viele sich mit dem Status quo abgefunden haben? Weil es bequem ist, zu behaupten, dass Frauen doch alles erreichen können – solange sie bereit sind, sich anzupassen; solange sie bereit sind, männliche Spielregeln zu akzeptieren, anstatt sie zu hinterfragen?

Auch Männer sind betroffen - aber nur die "Falschen"

Doch das Problem betrifft nicht nur Frauen. Auch Männer, die nicht den klassischen starken männlichen Eigenschaften entsprechen, stehen vor den gleichen Herausforderungen. Wer nicht durchsetzungsstark, dominant und konkurrenzorientiert auftritt, hat es auch als Mann schwer, in Machtstrukturen Fuss zu fassen. Die Spielregeln bevorzugen nicht das Geschlecht an sich, sondern eine bestimmte Art von Mensch – und diese ist nach wie vor an überholte Männlichkeitsnormen geknüpft.

Warum wir Gleichstellung nicht einfach machen

Es geht nicht darum, ob Frauen es theoretisch schaffen können – es geht darum, zu welchem Preis. Es geht darum, dass Frauen doppelt so viel leisten müssen, um gleich anerkannt zu werden. Dass sie als fähig gelten, wenn sie männlich geprägte Charakterzüge mitbringen, aber als zu emotional oder zu weich, wenn sie andere Stärken zeigen. Und genau das verhindert echte Gleichstellung.

Besonders problematisch ist die weitverbreitete Haltung, es gebe bereits einen fairen Wettbewerb und es setzten sich einfach die Besten durch. Doch wenn das tatsächlich der Fall wäre, warum sind Frauen in Spitzenpositionen immer noch eine Minderheit? Warum dominieren Männer weiterhin die Machtstrukturen? Die Antwort ist klar: Weil wir zwar theoretisch Gleichstellung anerkennen, aber zu wenig dafür tun, sie wirklich umzusetzen. Und wenn es darum gehen würde, sie umzusetzen, fängt die Diskussion wieder von vorne an: "Es geht um die fähigsten Kräfte, nicht um das Geschlecht." 🤮

Was echte Gleichstellung bedeuten würde

Gleichstellung bedeutet nicht, dass Frauen dürfen, sondern dass sie können, ohne sich verstellen zu müssen. Sie bedeutet, dass Strukturen geschaffen werden, die es Frauen und auch Männern ermöglichen, ihren eigenen Führungsstil zu entwickeln, anstatt sich an überholte Normen anzupassen. Doch genau hier scheitern wir. Nicht weil wir nicht wissen, was zu tun wäre – sondern weil wir es nicht tun - und vielleicht ja auch nicht wollen. Weil wir Gleichstellung als erledigt betrachten, anstatt sie weiter voranzutreiben. Weil sie mühsam ist. Weil es Menschen gibt, die den Weg frei machen müssten, die andere vorlassen müssten, die verzichten müssten. Weil es Menschen gibt, die etwas verlieren würden, die etwas loslassen müssten, die sich von etwas trennen müssten. Weil es immer noch ein Kampf ist, anstatt ein echtes Miteinander. Weil noch viel zu viele nicht wissen, was Co-Kreation bedeutet und in der Kooperation festhängen. Weil es zu vielen zu gut geht und dem grösseren Rest so schlecht, dass sie mit anderem beschäftigt sind.

Fazit: Die Illusion der Gleichstellung muss endlich aufhören

Vielleicht braucht es nicht nur eine Änderung in den Parteien, sondern auch eine gesellschaftliche Abrechnung mit der Illusion, Gleichstellung sei bereits erreicht. Vielleicht müssen wir uns nicht mehr fragen, warum Frauen sich nicht zur Verfügung stellen, sondern warum sie es leid sind, sich immer wieder beweisen zu müssen. Ich bin echt traurig, dass wir in den letzten Jahren zwei so fähige Bundesrätinnen in der Schweiz verloren haben.

Die aktuelle Situation zeigt es deutlich – sie ist ein Beweis für systemische Trägheit. Wer das nicht erkennt, will es nicht erkennen. Und genau das muss sich ändern.

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